Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen ist kein Randphänomen. Wie erschreckend groß das Ausmaß in Deutschland ist, zeigt eine neue repräsentative Studie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI). 12,7 Prozent der befragten Erwachsenen gaben an, dass sie als Kind oder Jugendliche sexualisierte Gewalt erlebt haben. Bei den Frauen ist der Anteil erheblich höher als bei Männern: Jede fünfte Frau ist betroffen (20,6 Prozent). Bei den Männern sind es 4,8 Prozent.
Obwohl das Bewusstsein um die Problematik in Deutschland durch dramatische Missbrauchsfälle wie in Münster, Lügde und Bergisch Gladbach während der vergangenen Jahre gewachsen ist, gehen die Wissenschaftler des ZI weiterhin von einem großen Dunkelfeld aus. Mehr als ein Drittel (37,4 Prozent) der Betroffenen hatte bisher nicht mit anderen Personen über die erlebte sexualisierte Gewalt gesprochen. Wie andere Studien zeigen, sind es vor allem Jungen und Männer, bei denen die Dunkelziffer noch erheblich höher ist.
Die Studie des ZI macht zudem deutlich, wie besorgniserregend gering das Wissen von Betroffenen und Nicht-Betroffenen über Hilfsangebote ist. Gerade hier ist Essen jedoch sehr gut aufgestellt: mit der Fachstelle „Spezialisierte Beratung bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ des Kinderschutzbundes Essen. Darüber hinaus heißt es seit 27 Jahren in dritten und vierten Essener Grundschulklassen: „Mein Körper gehört mir!“.
Seit 1998 führt der Kinderschutzbund Essen das sehr lebendige Mit-Mach-Theaterstück „Mein Körper gehört mir!“ gemeinsam mit der Theaterpädagogischen Werkstatt Osnabrück und dem Kriminalkommissariat der Polizei durch: Eine Institution bei der Missbrauchsprävention an den Grundschulen in Essen, mit dem Schulkinder an das Thema sexuelle Gewalt herangeführt, in ihrer Körperwahrnehmung sensibilisiert und ihnen Wege für Hilfen aufgezeigt werden. Die Kinder werden darin bestärkt, dass sie das Recht haben, etwas abzulehnen, wenn es sich seltsam oder blöd, komisch oder unangenehm anfühlt. Sie erfahren, wie schwierig es ist, sich jemandem anzuvertrauen und über etwas Schreckliches zu sprechen. Und sie lernen daraufhin, sich Hilfe und Rat bei einer Vertrauensperson zu holen. Doch das Erfolgskonzept steht vor dem Aus, nachdem der Landschaftsverband NRW in diesem Jahr 2025 die Fördermittel gestrichen hat.
„Wir haben kein Verständnis dafür, dass ein derart wichtiges Projekt – das sich direkt an Kinder wendet, sie altersgemäß informiert und stärkt, um Missbrauchsfälle von vornherein zu verhindern – nicht mehr unterstützt wird. Angesichts der dramatischen Fallzahlen dürfen wir in unserem Kampf gegen sexuellen Missbrauch an Kindern nicht nachlassen. Wir fühlen uns zunehmend allein gelassen“, so Prof. Dr. Ulrich Spie, Vorstandsvorsitzender des Kinderschutzbundes Essen.
Wenn Kinder oder Jugendliche sexualisierte Gewalt erleben, hinterlässt dies oft tiefe psychische Belastungsstörungen. In der Fachstelle finden sie professionelle Hilfe und Unterstützung, ihre Gewalterfahrung zu bewältigen. Bei den Eltern und Bezugspersonen lösen die Erfahrungen ihrer Kinder oft Gefühle von Wut, Ohnmacht und Fassungslosigkeit aus. Auch sie erhalten in der Fachstelle Beratung, mit dem Geschehenen umzugehen. Ganz besondere Unterstützung benötigen Eltern, falls sie selbst Opfer sexualisierter Gewalt waren und die Gewalt, die ihren Kindern angetan wurde, das eigene Erlebte wieder ans Tageslicht bringt.
„Wie groß und wichtig der Bedarf an unserer Spezialisierten Beratung ist, zeigen die Zahlen. Verzeichnete die Fachstelle 2022 in ihrem ersten Jahr gerade einmal 47 Beratungen mit Kindern, Jugendlichen und Eltern, waren es 2024 bereits annähernd doppelt so viele: nämlich 95 Beratungen“, sagt Prof. Dr. Ulrich Spie.
Auch das Angebot der Fachstelle „Spezialisierte Beratung bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ ist nicht vollständig refinanziert. Für die Fortführung der Beratungen von betroffenen Kindern, Jugendlichen und ihren Familien ist der Kinderschutzbund Essen auf Spenden angewiesen.
Spendenkonto:
Kinderschutzbund Essen
Sparkasse Essen (BIC: SPESDE3E), IBAN: DE70 3605 0105 0000 2907 00